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Wo immer ich hinkomme, alle wollen immer mehr Reichweite auf Instagram, Facebook oder welcher Plattform auch immer haben. Und das liegt an den Flitzpiepen in meiner Branche. Damit meine ich Online-Marketing-Berater, die ihren Kunden das Geld mit irrelevantem Firlefanz aus der Tasche ziehen, statt sie seriös weiterzubringen. Allesamt gehören sie zur »Schnell und hektisch reich werden«-Fraktion, in der es stets darum geht »dein Business weiterzubringen«. Und immer, immer, immer geht es darum, »mehr Reichweite« zu generieren. Auf der Reichweite reiten auch immer wieder Werbeagenturen und Marketing-Abteilungen herum, was den Flitzpiepen insbesondere bei kleineren und mittleren Unternehmen Tür und Tor öffnet. Warum diese Reichweiten-Fokussierung jedoch in aller Regel kompletter Unfug ist, erläutere ich hier.

Vor einiger Zeit hatte ich mir das Live-Video eines dieser merkwürdigen Online-Marketing-»Berater« auf Instagram angeschaut. Thema des Videos: »Warum die Followerzahl doch ziemlich wichtig ist«. (Warum sie eben überhaupt nicht so besonders wichtig ist, habe ich übrigens schon vor einiger Zeit hier dargelegt.) Und en passant setzte er »Follower« mit »Reichweite« gleich. Aber geschenkt, den Fehler begehen viele. (Dazu auch weiter unten mehr.) Er kündigte drei geheimnisvolle Gründe an, weshalb große Followerzahlen wichtig für »dein Business« seien. Ich war gespannt wie ein Flitzebogen, was die Flitzpiepe der Berater-Kollege jetzt wohl bringen würde. Weshalb um alles in der Welt sollen denn große Followerzahlen wichtig für »dein Business« sein? Hatte ich etwas übersehen? Lag ich mit meinem eben gerade verlinkten Artikel womöglich völlig falsch?

Was dann kam, war jedoch wie vermutet vollkommen irrelevant für »dein Business«.

Angeblicher Grund 1 für viele Follower: Der erste Eindruck zählt!

Der erste Grund sei, so der flitzpiepige Kollege, dass der erste Eindruck zähle. Das ist eine derartige Binsenweisheit, dass sie – obwohl korrekt – längst zur Plattitüde verkommen ist. Doch der Kollege schloss daraus: »Je mehr Follower du hast, desto besser ist dein Standing, desto mehr Glaubwürdigkeit vermittelst du«. Und das ist so grotesk, so vollkommen und radikal falsch, dass es mir graust.

Je mehr Follower, desto glaubwürdiger? Um das Gegenteil zu beweisen, benötigt es nur eines einzigen Wortes, eines einzigen Namens: Trump.

Der ehemalige US-Präsident Donald J. Trump hatte mit Stand vom 20. November 2022 (nachdem der zwischenzeitlich gesperrte Account durch den neuen Twitter-Alleinherrscher und #Chefsympath Elon Musk wiederhergestellt worden war) 72,4 Millionen Follower.

Aber hält irgendwer bei klarem Verstand den Mann allen Ernstes deshalb für glaubwürdig? Natürlich nicht. Den hält ehrlich gesagt niemand bei klarem Verstand für glaubwürdig. Trump war und ist bekanntermaßen ein notorischer Lügner. In den vier Jahren seiner US-Präsidentschaft konnten wir ihn bei 30.573 öffentlich geäußerten Lügen und Unwahrheiten ertappen (Quelle: The Washington Post). Das muss man sich mal reinziehen. Der Mann lügt, wenn er das Maul aufmacht. Das hat nicht mal mein Ex-Chef geschafft, und der war schon schlimm.

Screenshot eines Beitrags der Washington Post über US-Präsident Donald J. Trump, der während seiner Präsidentschaft bei mehr als 30.000 Lügen und Unwahrheiten erwischt worden ist. Screenshot vom 20. November 2022
US-Präsident Donald J. Trump ist während seiner Präsidentschaft bei mehr als 30.000 Lügen und Unwahrheiten erwischt worden. Screenshot vom 20. November 2022, Quelle: The Washington Post

Dennoch hatte Trump Millionen von Followern. Nicht nur online auf Twitter, sondern auch offline am US-Äquivalent des deutschen Stammtischs, was immer das sein mag. Vermutlich die Waffentheke im örtlichen Walmart.

Wir halten fest: Die Anzahl der Follower hat wirklich gar nichts mit der Glaubwürdigkeit eines Unternehmens oder – im Falle von Trump – einer Person zu tun.

Aber ich gebe zu: Menschen schauen tatsächlich nach der Anzahl der Follower. Und ja, eine große Followerzahl suggeriert (!) Relevanz. Meine eigene Facebook-Seite hat mit Stand von November 2022 rund 2200 Follower. Auf Twitter sind es etwa 4500. Bei Instagram liege ich bei rund 1100. Diese Zahlen sind mir jedoch egal, weil ich trotz dieser niedrigen Followerzahlen mit meinen Accounts erfolgreich bin. Meinen Lebensunterhalt verdiene ich nicht mit einer Follower-Zahl.

Aber selbst wenn die Glaubwürdigkeit eines Profils tatsächlich auf massenweise Followern fußen würde – wir sind mit der Followerzahl weit vom ersten Eindruck entfernt. Der erste Eindruck – also der erste Kontakt eines Nutzers mit dem Social-Media-Profils eines Unternehmens – entsteht im Regelfall nämlich natürlich nicht auf dem Profil. Sondern er entsteht im Feed, also im Strom der Beiträge auf Facebook, Instagram und Twitter. Social-Media-Nutzer gehen nun einmal nicht auf Instagram, um in den Suchschlitz »geropflueger« einzugeben und unmittelbar auf mein Profil zu klicken. So funktioniert das einfach nicht. User von Instagram verhalten sich anders.

Sie entdecken neue Beiträge vor allem über die Hashtag-Suche oder den »Entdecken«-Bereich. Die Followerzahl von Profilen können wir nirgendwo sehen. So sieht die Suchmaske am 20. November 2022 aus, wenn Sie dem Hashtag #reichweite suchen. Keine Profile, keine Follower, sondern ausschließlich die Medien als solche.

Screenshot von Instagram nach dem Hashtag #reichweite.
Hashtag-Suche bei Instagram – die Followerzahl der einzelnen Medienanbieter ist nirgendwo zu sehen.

Facebook als das größte Social-Media-Netzwerk überhaupt ist keine Suchmaschine. Der zwar vorhandene Suchschlitz ist derart dysfunktional, dass sich eine Suche häufig als vollkommen zwecklos erweist. Facebook-User wissen das. Darum nutzen sie den Suchschlitz so gut wie nie, um nach Personen oder gar Unternehmen zu suchen. Sie reagieren lediglich auf Beiträge, die der Facebook Newsfeed Algorithmus in ihren Newsfeed spült. Nur dann, wenn ein Unternehmen im Newsfeed auftaucht – in Form eines Beitrags oder einer Werbeanzeige – entsteht der erste Eindruck. Doch auch hier gibt es keine Followerzahlen zu sehen.

Screenshot einer Facebook-Werbeanzeige. Die Anzahl der Fans ist nicht erkennbar.
Auch bei Facebook-Werbeanzeigen ist die Anzahl der Fans nicht erkennbar.

Das Gleiche gilt für Twitter. Hier entdeckt der Nutzer neue Profile in der Regel entweder durch Retweets einer Person, der er bereits folgt, oder ähnlich wie bei Instagram durch den Klick auf einen bestimmten Hashtag. Auch Twitter zeigt die Followerzahlen nicht im Feed an.

Wir halten fest: Bei einem ersten Kontakt mit einem Unternehmen wird der Social-Media-Nutzer in der Regel keine Follower-Zahlen sehen. Das heißt, dass der erste Eindruck unabhängig von der Zahl der Follower ist. Ganz im Gegenteil: Der Inhalt des Beitrags ist wichtig. Die Flitzpiepe Der Kollege irrt also und erzählt seinen Kunden groben Unfug.

Angeblicher Grund 2 für viele Follower: Mehr Reichweite

Der Kollege argumentierte weiter auf dünnem Eis: »Je mehr Follower du hast, desto höher ist deine Reichweite!«

Das scheint auf den ersten Blick zunächst einmal plausibel. Denn er sagt damit: »Wenn du viele Fans hast, bekommen die alle deine Nachrichten angezeigt!« Nein, leider nicht. Diese Annahme ist grundfalsch. Korrekt müsste das Argument lauten: »Je mehr Follower du hast, desto höher ist deine Chance auf eine hohe Reichweite.«

Und das ist ein großer, großer Unterschied. Warum ist seine Version falsch und meine richtig?

Dazu müssen wir wissen, was der Begriff Reichweite überhaupt grundsätzlich bedeutet. Der stammt nämlich aus der Medienwirtschaft des letzten Jahrtausends. Konkret aus dem Print-Bereich, also vor allem aus dem Zeitungs- und Zeitschriftengewerbe. Aber auch die Fernseh-Quoten sind reichweitenbasierte Kennzahlen.

Zeitungen haben die Herausforderung, dass sie ihren Anzeigenkunden keine klaren Zahlen für den Erfolg ihrer Werbemaßnahmen liefern können. Hat ein Leser der Zeitung die Anzeige des Werbekunden gesehen? Und wenn er sie gesehen hat, hat das eine Handlung ausgelöst, hat er zum Beispiel das beworbene Produkt gekauft? Das ist extrem schwierig zu messen. Eine Möglichkeit sind Response-Elemente, aber nicht jede Anzeige eignet sich für einen Gutschein oder eine Rücksendekarte. Großunternehmen und Konzerne beauftragen Marktforschungsinstitute, um den Erfolg von Werbemaßnahmen zu ermitteln. Die messen dann im Auftrag ihrer Kunden jedes Promill Veränderung dessen Markenimages.

Diese Möglichkeit steht allerdings dem Großteil der Wirtschaft schlicht aus finanziellen Gründen nicht zur Verfügung. Die kleinen und mittleren Unternehmen, die das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden und die Zeitungen und Zeitschriften zur Verbreitung ihrer Werbung nutzen, haben diese Möglichkeit also nicht. Sie können nur eins tun: Preise vergleichen. Und diese Preise werden in den Mediadaten der Print-Titel maximal verwirrend dargestellt. Meiner Ansicht nach geschieht das, um Laien – und das sind die meisten Werbekunden von Tageszeitungen – das Gefühl zu geben, ein super Werbemedium in den Händen zu halten. Was ich von Print-Anzeigen generell halte, nämlich in den meisten Fällen ziemlich genau gar nichts, erläutere ich hier.

Mediadaten strotzen vor Kennzahlen, zum Beispiel dem (tatsächlich überaus sinnvollen) Tausend-Kontakte-Preis (TKP oder auch CPM für das englische cost per mille. Das ist ein Wert, der auch im Online-Marketing seine Berechtigung hat). Aber sämtliche relevanten Zahlen gehen auf eine einzige Größe zurück: der Anzahl der gedruckten Exemplare, der sogenannten Druckauflage.

Doch die Druckauflage ist nicht wirklich wichtig. Denn etliche Exemplare wandern sofort in den Altpapiercontainer: etwa die Makulatur, Exemplare mit Druckfehlern, falsch eingezogene Papierbögen bzw. -rollen etc. Auch Prüfexemplare, die im Druckprozess entnommen werden, Archivexemplare und andere gelangen nie an den Mann oder die Frau, für den der Werbekunde bezahlt. Darum gibt es weitere Auflagengrößen:

  • Druckauflage: alle gedruckten Exemplare eines Printmediums
  • Verkaufte Auflage: alle durch Abonnement oder Einzelverkauf in Umlauf gebrachten Exemplare
  • Verbreitete Auflage: verkaufte Auflage plus kostenlos verteilte Exemplare, etwa an Bord von Flugzeugen, Belegexemplare, Werbeexemplare etc.

Wo kommt jetzt die Reichweite ins Spiel? Ganz einfach: Zu Hause in der Familie, am Arbeitsplatz, im Flugzeug etc. gibt es oft nicht nur einen einzigen Leser pro Exemplar, sondern häufig eben mehrere. Zum Beispiel in einem Dreipersonenhaushalt die beiden Elternteile oder in einer WG vier von fünf Mitbewohner:innen. Durch Marktforschung – etwa durch Leserumfragen – wissen die Verlage, dass ihre Zeitung beispielsweise von, sagen wir, durchschnittlich 1,5 Personen gelesen wird. Wenn Sie die verbreitete Auflage eines Mediums mit diesem Wert multiplizieren, haben Sie die Reichweite. Wird eine Zeitung mit 100.000 Stück in Umlauf gebracht und lesen durchschnittlich 1,5 Personen jedes Exemplar, beträgt die Reichweite 150.000.

Das ist eine gute Maßzahl für Printtitel, meinetwegen auch für Radio und Fernsehen. Aus der Reichweite errechnet sich dann auch der Tausend-Kontakte-Preis. Also das Geld, dass der Werbetreibende zahlen muss, um 1.000 individuelle Personen zu erreichen.

Doch das Ganze krankt an einem riesigen Problem. Der Wert »Reichweite« sagt exakt gar nichts darüber aus, wie viele Menschen die Anzeige eines Werbetreibenden tatsächlich wahrnehmen. Das ist abhängig von ganz anderen Faktoren, vor allem von der Größe der Anzeige, von ihrer Platzierung auf der Seite und natürlich auch von ihrer Gestaltung.

Print-Anzeigen sind teuer, darum schalten kleinere Unternehmen vornehmlich kleinere Anzeigen. Doch damit begeben sie sich in eine Wahrnehmungs-Todesspirale. Sagen wir, die Anzeige sei zweispaltig und 250 mm hoch. Das ist auf der Seite einer Tageszeitung noch immer so klein, dass schlichtweg darüber hinweggesehen wird. Außerdem haben wir Konsumenten ohnehin gelernt, Werbung nur nach Bedarf wahrzunehmen und ignorieren sie ansonsten vollständig.

Nur wenn die Anzeige viele verschiedene Kriterien wie Größe, Farbe, Platzierung, Design, Zielgruppe etc. in voller Gänze berücksichtigt, kann sie erfolgreich sein. Wie weit der Werbeträger dagegen verbreitet wird, also die Reichweite, ist dann nur noch ein verstärkendes Moment.

Wir merken uns: Die Reichweite sagt nicht aus, wie erfolgreich eine Verbreitungsart ist. Sie sagt uns nur, wie erfolgreich sie potenziell sein könnte.

Social Media: Das Problem der organischen Reichweite

Stellen wir uns einfach mal in einem Gedankenexperiment vor, wir seien dem Berater gefolgt und hätten auf welchem Weg auch immer viele, viele Follower gewonnen. Hätten wir jetzt gleichzeitig eine große Reichweite? Nein! Denn nicht die Zahl der Follower ist entscheidend, sondern an wie viele dieser Follower unser Beitrag ausgeliefert wird. Das ist die sogenannte organische Reichweite.

Bei Facebook und Instagram definieren wir die Reichweite aber etwas anders als im Print. Nicht die Anzahl aller User (in Deutschland immerhin 32 Millionen Personen bei Facebook und 16 Millionen bei Instagram) bestimmen die Reichweite einer Anzeige oder eines Beitrags. Stattdessen ist das die Anzahl der User, die die Anzeige oder den Beitrag auf ihrem Bildschirm angezeigt bekommen. Das ist eine erheblich bessere Definition als die der herkömmlichen Medien. Wenn also jemand einen Beitrag oder eine Anzeige auf seinem Bildschirm angezeigt bekommt, wird die Reichweite einmalig um 1 erhöht. Dabei spielt es allerdings keine Rolle, ob der Inhalt des Beitrags vom User auch wahrgenommen wird oder ob er einfach nur ganz schnell scrollt, um ans Ende seines Feeds zu kommen. Wenn der Beitrag auf dem Bildschirm war, steigt die Reichweite um 1.

Doch damit ist ziemlich klar, dass die Reichweite in den allermeisten Fällen völlig egal sein dürfte. Was für den Erfolg eines Social-Media-Auftritts zählt, ist letztendlich die Erfüllung eines Conversion-Ziels. Die Reichweite ist da nur Mittel zum Zweck. Und hier geht es auch nicht um die schiere Masse an Menschen, die ein Unternehmen erreichen kann. Sondern – wenn schon, denn schon – es geht um die Reichweite innerhalb der definierten Zielgruppe. Denn alles andere ist Streuverlust und unbedingt zu vermeiden.

Neben der organischen Reichweite gibt es noch weitere Reichweiten in sozialen Medien.

  • Die virale Reichweite entsteht, wenn ein Beitrag zum Beispiel retweetet oder geteilt wird und so einem neuen Publikum zugänglich gemacht wird.
  • Die bezahlte Reichweite entsteht durch Anzeigenschaltung.

Social-Media-Plattformen nutzen Algorithmen, die darüber entscheiden, wer welche Inhalte auf unbezahltem organischem Weg sieht. Die Algorithmen unterscheiden sich natürlich in vielen Details. In einem Punkt aber nicht. Wenn ein Follower viel mit dem Profil eines Unternehmens interagiert, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass er weitere seiner Beiträge in seinem Feed sieht. Interagiert er wenig, ist die Wahrscheinlichkeit geringer und tendiert sogar irgendwann gegen Null.

Dazu spielt Facebook einen neuen Beitrag für kurze Zeit an die Feeds existierender Fans organisch aus. Interagieren sie mit dem Beitrag, spielt Facebook den Beitrag an weitere Personen aus. Interagieren sie nicht, lässt Facebook den Beitrag sterben und zeigt ihn nicht weiter im Feed an.

Und das heißt, dass uns als Unternehmen Reichweite nur dann etwas nützt, wenn wir aktiv interagierende Follower haben. Es geht also nicht um eine riesige Menge beliebiger Follower, sondern um die richtige Menge aktiver Follower. (Oder besser: um die richtigen Follower an sich. Danke Marjana!)

(Edit 4. Januar 2020 mit Dank an Marjana Križnik:)

Screenshot von Twitter mit einem Hinweis, zur Verbesserung dieses Artikels.

(Ergänzendes Edit 20. November 2022: Einbettung von Twitter gegen einen Screenshot ausgetauscht; Edit Ende)

Hat das Unternehmen keine aktiven Follower, bleibt ihm nur eins: Es muss Anzeigen schalten, damit seine Follower die Beiträge des Unternehmens in ihrem Feed sehen können. Kennt ein Nutzer das Unternehmen noch nicht, ist eine Anzeige zudem der wahrscheinlichste erste Kontakt. Und auch der erste Eindruck, um den Gedanken von oben aufzugreifen. Denken wir das konsequent zu Ende, so kann ein Unternehmen theoretisch ohne einen einzigen Follower extrem erfolgreich in seiner Social-Media-Arbeit sein.

Sonderfall Reichweite auf Instagram

Wer ein Influencer werden will, braucht Follower auf Instagram. Je mehr, desto besser. Egal woher. Ob Fake-Accounts, Bots, Amerikaner, Taiwanesen, Kenianer oder Russen – egal. Hauptsache Follower. Denn »Kooperationen«, wie bezahlte Werbegigs mit Influencern euphemistisch heißen, werden in der Regel nach Followern abgerechnet. Ein paar Zahlen dazu gibt es hier zu lesen. Die Bezahlung nach Followern ist jedoch völlig absurd, weil ich überhaupt nicht weiß, wen ich damit de facto erreiche.

Wir merken uns: Die Anzahl der Follower ist nicht gleich der Reichweite. Denn nur ein Bruchteil der Follower wird die Inhalte des Unternehmens angezeigt bekommen. Und wenn die Inhalte des Unternehmens doof sind, kann die Reichweite trotz Tausender Follower bei Null liegen.

Angeblicher Grund 3 für viele Follower: Mehr Interaktion

Abschließend brachte der flitzpiepige Berater-Kollege ein weiteres haarsträubendes Argument. Viele Follower, so behauptete er, führten unweigerlich zu mehr Interaktion, was wiederum zu mehr Followern führte, die wiederum mehr interagierten, was wiederum zu noch mehr Followern führte und so weiter.

Dass das barer Unfug ist, kann man sich denken. Denn sonst hätten ja bereits sämtliche Seiten Tausende, Zehntausende, Hunderttausende Fans. Was aber nicht der Fall ist. Und viel schlimmer: Je mehr Fans eine Seite hat, desto weniger aktiv sind die Follower tendenziell.

Es ist richtig, dass ein Account mit vielen aktiven Followern weitere Follower organisch – also unbezahlt – anzieht. (Wenn auch längst nicht in dem Maße, das der Kollege suggeriert. Schließlich kann ich kommentieren und teilen, ohne gleich Fan der Seite zu werden. Bei Instagram hingegen stimmt das Argument zwar, allerdings ist das im Ergebnis eher negativ. Je mehr Fans ein Profil hat, desto mehr wird es von Bots angesteuert – also von Software, die vorgibt, ein Mensch zu sein. Jedoch postet es lediglich »Nice pic 🔥«, um auf das eigene Profil aufmerksam zu machen. Woran Sie Fake-Profile auf Instagram erkennen hat Thomas M. Ruthemann schön erklärt.)

Doch die Betonung liegt ohnehin auf vielen aktiven Followern. Gibt es keine Interaktion, gibt es auch keine organisch generierten Fans. Warum also nicht Follower kaufen? Nein, das wollen wir wirklich nicht. Zum einen habe ich hier beschrieben, warum es eine superdämliche Idee ist, Follower zu kaufen. Und zum anderen ist die Werbung mit gekauften Fans und Likes eine irreführende Werbung im Sinne des § 5 UWG und somit strafbar. Und das nicht erst seit gestern, sondern erstmalig im Jahr 2014 festgestellt (vgl. LG Stuttgart, 06.08.2014 – 37 O 34/14 KfH).

Fazit: Benötigt ein Unternehmen mehr Reichweite auf Instagram und Facebook?

Ja, natürlich benötigt ein Unternehmen Reichweite. Sogar in Online-Medien. Und zwar, um generelle Bekanntheit und Markenimage aufzubauen oder zu halten. Doch Reichweite ist nur dann relevant, wenn ich die für mein Unternehmen wichtige Personen erreiche. Vor allem ist aber wichtig, dass die, die ich erreiche, mich und meine Botschaft auch tatsächlich wahrnehmen. Also: Relevante Reichweite ja, aber erst nach dem ersten Schritt. Und der erste Schritt ist Content.

Wenn Sie die Social-Media-Strategie für Ihr Unternehmen entwickeln oder überarbeiten wollen, meiden Sie bitte die Flitzpiepen der Branche. Suchen Sie sich stattdessen einen seriösen Berater. Es gibt da nicht nur mich, sondern auch viele tolle Kolleg:innen.